Dieter Hoffmann-Axthelm

Berlin-Reform

  1. Warum Berlin Kommune werden muß
  2. Beitritt zum Land Brandenburg
  3. Neuordnung der Zweistufigkeit der Verwaltung
  4. Ein Lösungsvorschlag
  5. Folgerungen für die Verwaltungsreform

Vorbemerkung

Verschuldung und Stagnation des derzeitigen Bundeslandes Berlin sind in erster Linie die Folge überholter Strukturen und politischer Fehlentscheidungen, und nicht externer Umstände.

Was ist zu tun – und was ließe sich tun? Berlin braucht zu allererst einen Umbau seines politischen und verwaltungsmäßigen Organismus. Es sind die historischen Altlasten und besonderen strukturellen Defizite des Berliner Politik- und Verwaltungssystems anzugehen: erstens der mißliche Zwitterstatus als Stadtstaat, zweitens die noch aus dem Kompromiß des Groß-Berlin-Gesetzes von 1920 herrührenden Probleme der zweistufigen Verwaltung. Ziel: die Rekommunalisierung der Stadtpolitik. Berlin muß den Status Land hinter sich lassen, es muß wieder Kommune werden.

1 Warum Berlin Kommune werden muß

Rekommunalisierung heißt: Berlin als Stadt organisieren, und nicht als Kleinststaat. Der Stadtstatus ist die eindeutige Adresse für spezifisch kommunale Probleme. In Berlin fehlt diese Adresse – weder das Land Berlin noch die zwölf Großbezirke eigenen sich dafür. Andererseits fühlen sich die Berliner keineswegs als Landesbewohner, noch gehen sie in Bezirksidentitäten auf. Sie betrachten Berlin als Stadt und fühlen sich als Städter, während die vorhandenen Ebenen eben diese Identität verpassen.

Es ist nicht erfolgsentscheidend, welche Art der Gemeindeverfassung man dann wählt – das nächstliegende ist, daß die Stadtgemeinde Berlin sich erst einmal an die Brandenburgische Kommunalverfassung hält, Konzessionen an die Eigenart des Gebildes Groß-Berlin eingeschlossen. Entscheidend ist, daß Berlin überhaupt wieder Stadtgemeinde wird.

Die Abschüttelung des Stadtstaatenstatus ist im Falle Berlins nicht nur nahe liegend, sondern zwingend. Nahe liegend ist sie, weil Berlin, anders als Hamburg oder Bremen, keinerlei Vergangenheit als Stadtstaat besitzt, sondern in einer besonderen Situation eher zufällig in diesen Status hinein gestolpert ist und ihn bis heute nicht beherrscht. Zwingend ist die Rückkehr zum Stadtstatus, weil er ursächlich sowohl mit der heutigen Verschuldung wie überhaupt mit dem Kompetenzdefizit der Berliner Lokalpolitik verknüpft ist.

1.1 Hinfälligkeit der Stadtstaatregelung

Der Status eines Stadtstaates ist eine Verlegenheitslösung aus dem Kalten Krieg, deren historische Voraussetzungen seit 1990 erledigt sind. Er war weder für das Groß-Berlin vor 1945 nötig, noch wäre es nach 1990 zwingend gewesen, ihn auf das wiedervereinigte Gesamtberlin zu übertragen. Seiner polirischen Funktion wie Geschichte nach haftet er lediglich am alten Westberlin. Es war eine Folge der Teilung Berlins ab 1948, daß seitens der westdeutschen Bundesrepublik 1950 den Westsektoren Berlins die Funktion eines Bundeslandes zugewiesen wurde. Die Teilstadt West-Berlin war es, die derart als Zwitter von Stadt und Staat in die Nachkriegsgeschichte trat.

Diese westberliner Herkunft – die Landesfunktion einer Teilstadt, die gerade ihr kommunales Zentrum im Ostteil verloren hatte – ist die eine Wurzel des Übels. Die andere ist, daß der Landesstatus dabei einer älteren, an sich schon problembehafteten kommunalen Organisationsform übergestülpt wurde: der Zweistufigkeit der Verwaltungsebenen. Stadtstaat, das an sich schon ist im Berliner Kontext eine Kunstfigur geblieben, die nicht haftet und ihren Anteil hat am unglaublichen Abstand zwischen Politik und Bevölkerung. Zweistufigkeit, das wiederum ist die Erblast der ungelösten Probleme noch das 19. Jahrhunderts. Beides zusammen ergibt eine ziemlich einmalige, mit keiner anderen deutschen Stadtkonstruktion vergleichbare Verknüpfung einander widerstreitender Motive. Ergebnis ist eine strukturelle Selbstlähmung.

Die Ebenen Land und Bezirk verpassen aber nicht nur die Instanz Kommune, sie stehen sich auch gegenseitig im Weg. Trotz aller seit 1950 erfolgten Änderungen herrscht auf beiden Verwaltungsebenen nach wie vor Rollenunsicherheit. Die Grenzlinie zwischen Land und Kommune verläuft ja nicht einfach zwischen Senat und Bezirken, sondern der Senat ist auch Kommune, während den Bezirken entscheidende kommunale Kompetenzen fehlen. Nicht selten auch widersprechen sich auf Senatsebene Landes- und Kommunalinteressen – jeweils zu Lasten letzterer, ohne daß sie bezirklich wirksamer zu gewährleisten wären. Anders als im Verhältnis zwischen Stadt und Flächenland, kann der Konflikt innerhalb Berlins aber nicht als der zwischen unterschiedlichen Ebenen – staatlich vs. Kommunal – offen ausgetragen werden.

Nur ein Beispiel, wie die Rahmenbedingung Land und das vitale Interesse der Stadt auseinander klaffen: Als Land vollzieht Berlin eine überaus rigide Ausländerpolitik, als Stadt ist Berlin auf Zuwanderung, ethnische Vielfalt und die Anwesenheit entfernter Kulturen angewiesen, wenn es, wenn schon nicht mit Paris und London, dann mit Wien, Madrid, Rom, Mailand, Amsterdam usw. mithalten will. Gut integrierte bosnische Oberschüler gewaltsam abzutransportieren, ist also das Dümmste, was man tun kann. Ähnlich im Hochschulbereich: Das Land reduziert aus fiskalischen Gründen die Studienplätze der Berliner Universitäten, während die Stadt dringend die Studenten als Lebenssaft ganzer Stadtviertel und als zukünftige Berliner braucht.

1.2 Rekommunalisierung als Reformperspektive

Man wende also nicht ein, das sei, wenn eine Kommune heute ohnehin überwiegend staatlich beauftragte Leistungen erbringt, bloß eine Frage der Etiketten. Selbst wenn die kommunale Selbstverwaltung fast zur Fassade verkommen sein mag, weiß man doch im deutschen städtischen Rathaus noch, daß man als Gemeinde agiert und nicht als Staat. Selbst im Zustand der Ausgehöhltheit ist die kommunale Selbstverwaltung immer noch mehr als bloß eine dritte Ebene von Steuerzuweisungen und Zuständigkeiten, sie ist ein eigener Ort in der politischen Wirklichkeit.

Stadt oder Stadtstaat, damit wird über den Stil entschieden, in welchem Stadtpolitik gemacht, bzw. über die Höhe, von welcher auf die lokalen Probleme herabgeblickt wird. Im Zweifelsfall reagiert die Berliner Politik nicht als Kommune, sondern als Land. Es ist ein Unterschied, ob ein Stadtrat unmittelbar mit den Sachfragen konfrontiert ist, oder ob er sich damit begnügt, politisch zu vertreten und öffentlich zu kommunizieren, welche sachpolitischen Entscheidungen ihm seine Staatssekretäre vorlegen. Problematisch ist die Doppelrolle erst recht dort, wo den Ebenen eben auch bestimmte Aufgaben zugeordnet sind und andere gerade nicht. Handelt die jeweilige Senatsverwaltung in diesem oder jenem Einzelfall als Landesregierung, oder handelt sie als Kommunalverwaltung?

Darüber könnte trefflich unter Verwaltungsjuristen gestritten werden, faktisch entscheiden darüber Machtverhältnisse und politische Rücksichten, oft aber auch bloß persönliche Eitelkeiten. Denn die landespolitische Ebene hat sich inzwischen, seit 1990, zu einem Problem der wachsenden Unzugänglichkeit und Abschottung des Spitzenpersonals ausgewachsen, der Senatoren. Ein Senator war im alten Westberlin noch eine für Gründe, Zuschriften, überhaupt für den interessierten und besorgten Bürger zugängliche Person. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Das ist einmal eine Sache der unmittelbaren politischen und Verwaltungsumwelt, welche einen Senator heute bis zur Peinlichkeit idolatrisieren, aber genauso veränderter Einstellungen und Selbstbilder der Politiker.

Hinter dieser Entwicklung steckt natürlich ein viel größeres Problem: die bedenklich angewachsene Entfernung zwischen Landespolitik und realer Stadt. Während die Politik sich landespolitisch einigelt, schwindet noch weiter, als das schon im alten Westberlin oder im Ostberlin der DDR gegeben war, die Bereitschaft sich verantwortlich fühlender Einzelner, in die Parteipolitik zu gehen. Den Parteien fehlt also das der beanspruchten Rolle gemäße Personal. Selbst Senatorenposten werden inzwischen mit Leuten besetzt, die bestenfalls bezirkspolitisch vertretbar waren.

Das hat bekanntlich historische Gründe: die Ausrottung des tragenden Berliner Bürgertums durch den NS und die Nachkriegsabwanderung in Ost wie West. Politik wird in Berlin auf Angestellten- und Mieterniveau gemacht, ohne daß es in der sozialen Wirklichkeit eine regulierende Macht gäbe, und ohne daß starke wirtschaftliche Lenkungskräfte da wären. Politik in findet in einem selbstgemachten Vakuum statt, dem die Presse weniger als Korrektiv denn als Echo dient.

Da an den sozialen Verhältnissen und ihrer Spiegelung in den Wahlergebnissen so bald nichts zu ändern ist, liegt die einzige Chance zu einem besser qualifizierten politischen Personal in der Möglichkeit, bei Rückkehr zum Kommunalstatus den alleinigen Zugriff der Parteien auf die Kommunalpolitik zu begrenzen. Wie im alten Großberlin, sollte es wieder möglich sein, unabhängige Fachleute in die leitenden politischen Ämter zu berufen. Anders wird der Riß zwischen Politik und realer Stadt nicht zu kitten sein.

1.3 Städtische Zentrierung

Seit dem Ende des Wendebooms ist die Kulturstadt die Großadresse, die es erlaubt, die Ebene der kommunalpolitischen Hausaufgaben schleifen zu lassen. Es ist aber Selbstbetrug, mit der Kulturstadt die Blößen einer Politik zu bedecken, der es nicht gelingt, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen. Selbstverständlich liegen Berlins Chancen ganz wesentlich in der Entwicklung von Kulturwirtschaft und Creative Industries. Aber das sind gerade diejenigen Bereiche, die sich dem landespolitischen Instrumentarium entziehen. Was kann aber eine Stadt Berlin wirklich tun, um die Berliner insgesamt hinter sich zu bringen und alle Beteiligten mit den Härten, Kosten und Lasten der Restrukturierung von Stadtfläche, Verwaltung, Haushalt zu versöhnen?

Gebraucht wird ein echtes Stadtprojekt. Wo, in welcher Stadt, liegt das Rathaus? So frei von jedem Kontakt zur wirklichen Stadt, wie es heute liegt und von seinen Benutzern wahrgenommen wird, könnte es auch in Marzahn und Teltow liegen. Die Berliner Politik hat da ihre besonderen Schwierigkeiten. Es ist erstens westberliner, zweitens Periferiepolitik. Senat und Abgeordnetenhaus waren bisher weder im Stande noch überhaupt interessiert, die Stadtbrache zwischen Linden und Alexanderplatz zu füllen, welche die DDR hinterlassen hatte. Tatsächlich häufen sich dort die Unvorstellbarkeiten: Das Rathaus liegt im Niemandsland, die Kirche des Grauen Klosters ist denkmalgeschützte Ruine, der Molkenmarkt nicht auffindbar. Keine normale Stadt geht so mit sich um.

Eine Rekommunalisierung entließe aber selbstverständlich auch die Frage nach Mitte und Ursprungsorten der Stadt, oder zumindest die, ob das Rathaus ausreichend im Bewußtsein der Stadt lokalisiert ist, wenn man es lediglich als Beipack zum Fernsehturm wahrnimmt. Hier ließe sich die Argumentation allerdings auch umdrehen: So zwingend, wie aus einer Rekommunalisierung die Rückwendung zur Stadtmitte erfolgte, so unterschiedlich sind doch die Geschwindigkeiten: Die Rückwendung, als eine der Bürgerschaft, der Berliner selber, ist weitaus schneller als alle Reform- und Beitrittsbemühungen. Es liegt also der Umkehrschluß auf der Hand: Je mehr Berlin seine Mitte entdeckt und sich dort, wo einmal das älteste Stadtgebiet war, reurbanisiert, desto zwingender könnte es den Berlinern erscheinen, daraus die politische Folgerung zu ziehen: Rückkehr in die Stadtgemeinde Berlin.

2 Beitritt zum Land Brandenburg

2.1 Die Chance des einseitigen Beitritts

Der praktische Weg zur Rekommunalisierung ist einfach: Verzicht auf langwierige Fusionsverhandlungen von Land zu Land, einseitiger Beitritt zum Land Brandenburg. Damit ist der Einwand aus dem Weg geräumt, der sofort gegen die Rückkehr zur Kommune erhoben wird: Brandenburg wolle uns ja gar nicht. Das mag so sein. Aber um so besser – treten wir einfach bei!

Es gibt ohnehin keinen vernünftigen Grund für eine Fusion unter Gleichen. Es ist ein völlig alberner Ehrgeiz, den Landesstatus über die Doppelnennung Berlin-Brandenburg zu erhalten – davon hat niemand etwas. Solange Berlin gleichberechtigt mit Brandenburg fusionieren will, ist die Fusion in der Tat seitens der Brandenburger beliebig verschiebbar, es sei denn, die übrigen Bundesländer machten Druck. Der wirksamere Weg ist also genau dieser: ungefragter Beitritt zum Land Brandenburg. Berlin steigt vom hohen Roß herab und verzichtet auf den Status des Stadtstaats.

Solange der Bund nicht zugreift – Washington D.C. ist kein im deutschen Rahmen sinnvolles Modell –, und solange kein anderes Bundesland auf Berlin Anspruch erhebt, fiele es dann logischerweise unter die Obhut der Potsdamer Landesregierung. Berlin könnte sich daraufhin als Gesamtgemeinde mit Oberbürgermeister, Stadträten und Stadtverordnetenversammlung neu konstituieren. Eine einmalige Chance. Der Zwang, sich als Kommune neu zu strukturieren, wäre der Anlaß, sich von den schlimmsten Gebrechen der heutigen Verwaltungsstruktur zu lösen und damit handlungsfähig zu werden.

Den Status als Bundesland aufzugeben, das ginge natürlich nicht ohne einschneidende Änderungen der Zuständigkeiten und Machtverhältnisse ab. Die kommunale Spitze wäre mit allen ihr zukommenden Rechten auszustatten, und da sie sich, anders als der Senat, nicht mehr auf die Landesebene zurückziehen kann, würde allein dies schon das auf ein Neuverhandeln des Verhältnisses von Zentrale und Bezirken hinauslaufen, eine veränderte Machtverteilung.

Daran haben derzeit weder Bezirke noch Hauptverwaltung ein Interesse. Die größeren Schwierigkeiten einer Fusion unter Gleichen liegen überhaupt wohl weniger bei den abstimmenden Berlinern oder Brandenburgern, als bei der politischen Führungsschicht beider Länder – Fusion heißt, daß die Hälfte der regionalen Minister- und Staatssekretärsposten eingespart wird und Brandenburger und Berliner Politikpersonal um die verbleibenden Posten konkurrieren, wobei diejenigen Berliner, die nicht schon heute im Potsdamer Geflecht verankert sind, zweifellos das Nachsehen hätten. Angesichts dessen hieße ein einseitiger Beitritt, daß die Berliner Politiker ihr Pfand im Stellenpoker freiwillig aus der Hand geben.

Das ist das wirkliche Hindernis. Sie würden bei einseitigem Beitritt, nachdem man gewohnt war, im Bundesrat zu sitzen, zu bloßen Kommunalpolitikern rückgestuft. Daß darin umgekehrt eine Nobilitierung liegt – was ist schon ein Ministerpräsident von Brandenburg gegen einen europäisch wahrgenommen Oberbürgermeister von Berlin? – können Berliner Politiker vermutlich nicht mehr empfinden.

Hätte ein solcher Schritt eine Schlechterstellung im Finanzausgleich zur Folge? Das ist wohl kaum zu erwarten. In Bremen rechnet man sich zwar Vorteile aus für den Fall, daß es beim Stadtstaat bleibt, allerdings unter fragwürdigen Annahmen, während man in Hamburg der Meinung ist, die durch den Stadtstaat-Status dem Finanzsenator entgehenden interkommunalen Ausgleichszahlungen seien viel höher als die derzeitigen fiskalischen Vorteile aus dem Stadtstaatenprivileg.

2.2 Wie Berlin die Kommunalpolitik verlernte

Der Stadtstaats-Status war, wie gesagt, anfangs nicht mehr als eine Verlegenheitslösung. Daß es dazu kam, ergab sich aus den Umständen: Zwar hatten Stadtverordentenversammlung und Magistrat sich Ende 1948 in die westlichen Bezirke zurückgezogen und einen neuen Oberbürgermeister gewählt. Doch stellte sich bei Gründung der Bundesrepublik das Problem der Einbeziehung derjenigen Sektoren Berlins, die westalliierter Verwaltung unterstanden. Das schien angesichts des Besatzungsstatus nur durch das Paradox möglich, die unter Kriegsrecht stehende Rumpfstadt – das künftige Westberlin – gleichzeitig zu einem Bundesland zu machen.

Man übertrug damit ein Modell, das anderswo, in den Hansestädten, gewachsen und seit Jahrhunderten eingeübt war, auf ein Bündel von Bezirken ohne Zentrum, die sowohl in sich heterogen waren wie aus einer völlig anderen Verwaltungsgeschichte kamen. Den im Rahmen der alten Berliner Magistratsverfassung handelnden Mandatsträgern jedenfalls war die vom Stadtstaatmodell implizierte Perspektive der eigenen Staatlichkeit vollkommen fremd. Die Berliner Verfassung vom Oktober 1950 betonte deshalb noch, Berlin sei Land, aber "zugleich eine Stadt". Diese Doppeldeutigkeit drückte sich auch im Titel aus, den man für die Spitzenposition wählte: Regierender Bürgermeister. Andererseits übernahm man von den Hansestädten die Bezeichnungen Senat und Senator für Magistrat und Stadtrat. Dabei stellten sich kommunalpolitisch ungewohnte Verfassungsfragen: Sollen die Senatoren, als Minister, ernannt, oder, als Kommunalbeamte, gewählt werden? Hat der Regierende Bürgermeister Richtlinienkompetenz wie ein Ministerpräsident, oder ist er der Vorsitzende des Kollegiums der Stadträte, wie noch heute in den Berliner Bezirken der Fall?

Zur schrittweisen Abkehr vom kommunalen Selbstverständnis haben offenbar mehrere Faktoren beigetragen. Zum einen gab es Funktionen, die innerhalb der Weimarer Verfassung für Berlin durch den preußischen Staat ausgeübt worden waren, und für die man einen neuen Träger brauchte, da sie weder dem Bund noch einem anderen Bundesland zugewiesen werden konnten.

Zum andern wurde die bestehende ausgeprägte Zweistufigkeit der Verwaltung in dieser Lage, anders als in Hamburg und Bremen, zum Ansatzpunkt einer zunehmend landespolitischen Prägung des Politik- und Verwaltungsstils. Dem kam auch die unfreiwillige weltpolitische Rolle Berlins als vorgeschobene Bastion des westlichen Bündnisses entgegen. Mit Ernst Reuter und Otto Suhr hatten noch erfahrene Kommunalpolitiker an der Spitze gestanden. Mit Willy Brandt wurde der Regierende Bürgermeister zum Außenpolitiker, und die Kommunalpolitik degenerierte zu einem Petitum der Opposition von CDU und FDP – der damalige CDU-Vizebürgermeister Amrehn warb mit dem hilflosen Slogan "Immer in Berlin". Danach hat es, mit Ausnahme der halbjährigen Interimsamtszeit von Jochen Vogel, keinen kommunalpolitisch inspirierten Bürgermeister mehr gegeben.

In die gleiche Richtung drängten aber auch die außerordentlichen, auf den Länderfinanzausgleich aufgesattelten direkten Bundeszuweisungen. Wenn man in den fünfziger Jahren noch unterschied, was Berlin als Stadt und was es als Land einnahm, so wurde dies angesichts des Übergewichts der politischen Funktion zunehmend bedeutungslos: Wichtig war nicht, mit Eigeneinnahmen und Schlüsselzuweisungen auszukommen, sondern für Beschäftigung zu sorgen, egal welche, und damit unter Bedingungen des Kalten Krieges und phasenweise akuter Bedrohung die Frontstadt zu stabilisieren.

Die westberliner Politikkrise begann spätestens 1981, mit dem Sturz des Stobbe-Senats. Es reichte nicht mehr aus, die weltpolitische Plakatfunktion Westberlins zu verwalten, man mußte sich um die konkreten Probleme der Teilstadt kümmern, wirtschaftliche Auszehrung, Überalterung der Bevölkerung, das Sichauswachsen Kreuzbergs zur, wie es damals hieß, drittgrößten Stadt der Türkei. Die westberliner Gewohnheit der Überdeckung kommunalpolitischer Hilflosigkeit durch Landespolitik wurde aber gerade in den achtziger Jahren, der ersten Amtszeit Diepgens, zur Methode erhoben.

Die Vereinigung von 1990 war nun keineswegs geeignet, am eingeschlagenen Weg etwas zu ändern. Zum einen handelte es sich eindeutig um eine Übernahme Ostberlins durch die westberliner Politik und Verwaltung. Das vereinnahmte ostberliner Verwaltungssystem verfügte aber seinerseits auch nicht mehr über die alten kommunalen Kompetenzen oder Erinnerungen. In Ostberlin hatte man zwar dem Namen nach das Magistratssystem fortgesetzt, aber als bloße Attrappe, denn die angeblichen Kommunalbeamten ressortierten beim Innenministerium, und das DDR-spezifische System des "Durchstellens", d.h. der unmittelbaren Anweisung der untersten Ebene durch Regierende bzw. Parteiführung unter Umgebung der politischen und administrativen Vermittlungsebenen, führte noch weit gründlicher zum Verlust jeglicher kommunalpolitischen Kultur.

Als 1990 mit der Vereinigung große Teile der ostberliner Verwaltungen in das westberliner System eingefügt wurden, konnte dies den Etatismus der Berliner Landespolitik nur verstärken. Nun lagerten nicht nur Funktionen und Institutionen des aufgelösten preußischen Staats der Weimarer Republik, sondern auch noch Funktionen, Institutionen und politischen Mentalitäten der untergegangenen DDR auf dem um Ostberlin erweiterten Land Berlin.

Mit der Vereinigung setzte andererseits der schnelle Abbau der Bundessubventionen ein, während gleichzeitig der Verlust von nahezu 300.000 Arbeitsplätzen zu weiteren Einnahmenverlusten führte. Spätestens ab 1995 war klar, daß der status quo nicht bezahlbar war, also in jedem Fall erhebliche Ausgaben eingespart werden mußten. Eine der wesentlichen Sparpakete bildete das, was man ziemlich irreführend als Verwaltungsreform benannte: das Projekt, ab dem Jahr 2000 die Zahl der Bezirke zu halbieren, um damit Kosten zu sparen. Ob gerade letzteres gelang, ist bis heute nicht klar, da die Effekte nicht so einfach aus dem Gesamtverlauf herauszulösen sind.

2.3 Weiter wie bisher?

Klar ist aber, daß die Reform zu einem weiteren Schub der Entkommunalisierung des Senats geführt hat. Und dies nicht aus Stärke, sondern gerade aus der spezifischen Schwäche der Senatsposition gegenüber den Bezirken. Die damals tätige CDU-SPD-Koalition hatte sich vom Gelingen der Reform so stark abhängig gemacht, daß sie erpreßbar war. Der Senat verzichtete also, um überhaupt die Bezirke auf seine Seite zu bekommen, auf die bisherige Fachaufsicht. Damit hörte er praktisch auf, ein Kommunalorgan zu sein, und zog sich auf seine Landesfunktionen zurück.

Im Ergebnis der Reform ist der Senat, der im November 2006 antrat, nun auch der erste, der rein landespolitisch auftritt. Der Regierende Bürgermeister hat jetzt die Weisungskompetenz gegenüber den Senatoren, letztere wurden erstmals nicht mehr vom Abgeordnetenhaus gewählt, sondern durch den Bürgermeister ernannt. Dazu paßt, daß die jetzige Koalition eine Änderung des Wahlgesetzes plant: Es sollen nur noch Parteien oder Listen ins Abgeordnetenhaus gewählt werden können, die als Landesliste auftreten – bezirklichen Gruppierungen wie Schlingensiefs Zukunft 2000 (Wahl 2001) oder der unlängst aus Prenzlauer Berg aufgetauchte Bergpartei (Wahl 2006) wäre damit der Weg verlegt, damit auch jede neue Farbe ausgeschlossen.

Die Reinigung der Landesebene von kommunalpolitischen Eierschalen hat ihr Gegenstück in einer weiteren Kommunalisierung der Bezirke. Allein schon die Halbierung der Bezirkszahl hat das Gewicht der Bezirke gegenüber dem Senat erheblich vermehrt. Der wachsenden Entfernung zwischen den beiden Ebenen Land und Bezirk entspricht, daß es auf Bezirksseite ab 2011 das politische Bezirksamt gegeben soll (ob es, der Gesetzeslage gehorchend, tatsächlich dazu kommt, ist eine andere Frage): Stadtratsposten würden dann nicht mehr proportional zu ihrem Wahlergebnis unter den Parteien verteilt, sondern die stärkste Partei, oder eine Koalition, führte den Bezirk. Ein Schritt mehr zur Kommune.

Nur stellt sich seitdem die Frage, ob man, bei fortbestehender Gesamtgemeinde, zwischen Senat und Bezirken so gut trennen kann wie zwischen, z.B., der Düsseldorfer Landesregierung und den Städten Köln, Bonn, Neuss usw.: auf der einen Seite Regelvorgaben, Gesamtaufgaben, Förderprogramme, auf der anderen die konkreten bezirklichen Aufgaben und Probleme. Eine derartige Trennung ist im Verhältnis Staat-Stadt seit Jahrhunderten eingeübt, vielmehr, die Entterritorialisierung von Verwaltung ist überhaupt der hervorstechende Zug der modernen Verwaltungsgeschichte gewesen. Angewendet innerhalb ein und derselben Stadt, konnte sich diese Trennung nur als Fiktion erweisen. Vielmehr stehen vor allem die innerstädtischen Bezirke, durchschnittlich Großstädte um die 300.000 Einwohner, Problemen gegenüber, die teils weit oberhalb, teils unterhalb ihrer Reichweite liegen.

Probleme oberhalb: Die durch Mauerfall und Vereinigung gestellten Aufgaben sind derart, daß sie nur zentral bearbeitbar sind. Die heutige Arbeitsteilung zwischen Bezirken und Zentrale führt dazu, daß die Probleme ins Leere fallen. Wie sollen nebeneinander werkelnde Bezirke einerseits und nur über Ausnahmeregelungen zuständiger Senat andererseits mit den Aufgaben eines die Verwerfungen eins Jahrhunderts einholenden Stadtumbau fertig werden?

Probleme unterhalb: Jeder Bezirk kennt Bereiche, die einen ganz anderen Typus von Präsenz verlangen. Wenn man z.B. jene Ergebnisse der Kahlschlagsanierung der sechziger und siebziger Jahre, die seitdem so dauerhaft im Gerede sind: Rollberge, Neues Kreuzberger Zentrum, Sozialpalast – nicht als Geschwüre sieht, die man einfach ausschneiden kann, sondern als Strukturprobleme, dann erfordern sie ein Maß von Vertrautheit und Präsenz zuständiger Verwaltung, die eine Großeinheit vom Typ Bezirk gar nicht leistet, so daß lokale Agenturen – Quartiersmanagement, Entwicklungsträger, lokale Initiativen – nötig werden..

3 Neuordnung der Zweistufigkeit der Verwaltung

Selbst wenn es in absehbarer Zeit gelingen sollte, Berlin in den Status einer Kommune zurückzuführen, bliebe damit das Problem der nicht funktionierenden Zweistufigkeit bestehen. Die Zweistufigkeit ist ein Berliner Sonderproblem – weder die Wiener Bezirke noch die Pariser Arrondissements haben auch nur annähernd die Rechte und Machtmöglichkeiten, über welche die Berliner Bezirke verfügen, die Londoner Borroughs andererseits sind selbständige Kommunen, die sich zum Greater London Council eher so verhalten wie Duisburg oder Bottrop zum Kommunalverband Ruhr.

Die reale Macht der Kommunalpolitik liegt im Konkreten – nicht in den Vorgaben, sondern in den Sachentscheidungen. Gemessen daran ist der Senat ein Papiertiger. Die Bezirke dagegen sind einerseits mächtiger, als sie nach der Seite ihrer fiskalischen Unmündigkeit und gesamtstädtischen Uninteressiertheit sein dürften, andererseits erweisen sie sich, sowie es lokal zu wirklichen Problemen kommt, als ignorant und hilflos. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zeigt sich nicht nur unfähig, Konfliktherde wie den Wrangelkiez rechtzeitig wahrzunehmen und Maßnahmen zu ergreifen, er wird nicht einmal mit einem so begrenzten Einzelfall wie dem derzeit besetzten Bethanien fertig.

Nicht das System der Zweistufigkeit also ist unhaltbar, unhaltbar ist die besondere Berliner Ausprägung. Auch der größte Schaden der Landesfunktion liegt ja, wie gesagt, darin, daß er das System der Zweistufigkeit derart hat entgleisen lassen. Letzteres kann angesichts der gegebenen Zustände daher auch nur mittels, und unter dem Schock, der Auflösung des Landes Berlin wieder ins Lot gebracht werden.

3.1 Das Dilemma der Zweistufigkeit

Die Zweistufigkeit von Zentralverwaltung und Bezirksverwaltungen ist das Ergebnis des Groß-Berlin-Gesetzes von 1920. Die damals gefundene Konstruktion war ja kein Werk aus einem Guß, sondern ein mühsam erreichter Kompromiß nach 40 Jahren gescheiterten Versuchen, zu einer – im Grundsatz übrigens von beiden Seiten gewünschten – Eingemeindung der funktional von Berlin abhängigen Städte und Vororte zu kommen. Nicht einmal der preußische Staat verweigerte sich so vollständig, wie oft behauptet wurde, war doch die Zugehörigkeit von Charlottenburg, Schöneberg oder Neukölln zur Berliner Innenstadt – der Stadt innerhalb des S-Bahn-Ringes – schon um 1900 so selbstverständlich wie heute.

Die lange Karenzzeit ist also durchaus ein Ausweis auch der zu behebenden Schwierigkeiten. Die damals unabhängigen Städte und Landgemeinden waren Großstädte mit einem eigenen, mehr oder minder hoch entwickelten Verwaltungsapparat. Der Zusammenschluß zu einer neuen Einheit Groß-Berlin war, selbst wenn der preußische Staat mitspielte, nur erreichbar, wenn man diesen Städten umfangreiche Zugeständnisse machte. Erst Kriegswirtschaft und Revolutionswirren machten allerdings allen Beteilöigten unmissverständlich klar, daß es jetzt anders nicht mehr ging.

So traten 1920 die 13 Städte und 27 Ortsgemeinden nicht einfach in die Stadtgemeinde Berlin ein, sondern erhielten in den Bezirken eigene Territorien, wobei nur in Falle von charlottenburg und Schönberg bisheriges Stadtgebiet und Bezirk übereinstimmten. Gleichzeitig behielten sie über die Bezirksgliederung auch weitgehende Rechte der Selbstverwaltung.

Dabei kam es zwischen Magistrat und Bezirken zu einer inhaltlichen Arbeitsteilung: den Bezirken wies man die sozialen Aufgaben zu, der Hauptverwaltung die finanzpolitischen und infrastrukturellen. Dazu kam weiterhin, daß Funktionen, die bis dahin beim preußischen Staat bzw. der Regierung in Potsdam gelegen hatten, auf die Stadt übertragen wurden. In diesem Zusammenhang wurden die baupolizeilichen Aufgaben nicht an den Magistrat von Groß-Berlin, sondern an die Bezirke gegeben. Die Bezirke funktionieren innerhalb ihrer Aufgabenbereiche wie selbständige Kommunen.

Das ist im wesentlichen der Stand bis heute geblieben. Das heißt nicht, daß die Lösung so zufrieden stellend war. Nur ging es den größten Teil der zwanziger Jahre erst einmal darum, daß System überhaupt in Gang zu bringen und im übrigen die Großprobleme – Schuldenabbau, Wohnungsbau, Verkehrsprobleme – zu lösen. Der vorletzte Oberbürgermeisters, Gustav Böß, plante, die Bezirke direkter in den Zentralverwaltung einzubinden – dazu sollte ihre Zahl so weit vermindert werden, daß es sinnvoll geworden wäre, die Bezirksbürgermeister in den Magistrat aufzunehmen und damit verantwortlich einzubinden. Das scheiterte daran, daß Böß alsbald zurücktreten mußte. Dann kam die Wirtschaftskrise, und ab 1934 herrschte in Berlin der NS-Stadtkommissar, welchem die kommunale Selbstverwaltung ohnehin Anathema war.

Westberlin war ab 1948 nun aber wesentlich eine Vereinigung von Vorortbezirken. Von seinen 12 Bezirken stammten nur drei – Kreuzberg, Tiergarten und wedding – aus dem Berlin der Stadtgrenzen von 1860 bis 1920. Jetzt aber trat an die Stelle des Magistrats eine Landesregierung, d.h. das Verhältnis von Hauptverwaltung und Bezirken nahm jetzt, ohne in den Zuordnungen verändert zu werden, staatsrechtliche Färbung und Brisanz an.

3.2 Das politische Problem

Eine Lösung des Knotens muß dazu führen, daß beide Seiten gewinnen, Zentralverwaltung wie Bezirke. Der jetzige Kleinkrieg, in welchem die Bezirke immer mehr Zuständigkeiten erbeuten, der Senat im Gegenzug die Bezirke finanziell aushungert, kann von keiner Seite gewonnen werden, schon deshalb, weil eine reinliche Scheidung der Kompetenzen nicht gegeben und wohl auch bei gutem Willen kaum herzustellen ist. Anders gesagt, auch heute noch fällt die Grenzlinie zwischen Senat und Bezirken nicht einfach mit der zwischen Land und Kommune zusammen. So sind die Bezirke Kommunen bloß der Größe und dem Benehmen nach. Das führt zwangsläufig zu unklaren Verantwortlichkeiten. Die Bezirke sind, mit Bezirksbürgermeister, Verordnetenversammlung, Ämtern für Bau, Wirtschaft, Finanzen, Soziales, Schule, Kultur, Abbilder der Zentralverwaltung. Die Parallelität im Aufbau bedeutet Verdoppelung der Entscheidungsprozesse, entsprechenden Ressourcenverschleiß und, angesichts begrenzter Durchsetzungsfähigkeit der Zentralverwaltung, jede Menge bezirklicher Alleingänge, sinnvoller wie recht absurder.

Zur selbständigen Gemeinde fehlt den Bezirken aber etwas Entscheidendes, die fiskalische Selbständigkeit. Das Geld kommt von oben, es muß nicht erarbeitet, sondern nur korrekt verwaltet werden. Die wirtschaftliche Unmündigkeit hat zur Folge, daß es für die Bezirkspolitiker sehr viel lohnender ist, die Einzelinteressen jeweiliger Wählerschaften zu befriedigen, als gesamtstädtisch vernünftige, lokal aber umstrittene Planungen und Investitionen durchzusetzen. Sie aber sind es, die andererseits einen großen Teil der Ausgaben- und Investitionsentscheidungen treffen, wobei sie in dem Maße lokalpolitisch zugunsten jeweiliger Klientelen entscheiden, wie sie ökonomisch nicht verantwortlich sind.

Die Bezirksreform von 2000 hat die Mißlichkeiten der Konstruktion nur verschoben und letztendlich noch verstärkt. Die neuen Großbezirke haben die Fachaufsicht des Senats abgeschüttelt, aber das nützt ihnen nichts, weil der Senat ihnen im Rahmen der laufenden Sparmaßnahmen die Mittel entzieht, um ihre Verantwortlichkeiten überhaupt wahrzunehmen. So haben die Bezirke zwar umfangreiche Planungskompetenzen, sehen sich aber nicht im Stande, die entsprechenden Planungsmittel aufzubringen. Die Planungsmittel der innerstädtischen Bezirke sind auf Jahre voraus bereits für Mieterberatung und Quartiersmanagement festgelegt, für Planung ist im Haushalt kein Geld. Faktisch wurden die neuen Bezirke durch die Bezirksreform also noch unmündiger als bisher.

Daß die neuen 12 Großbezirke etwa gleich groß sind, ist angesichts der völlig unterschiedlichen Probleme von Zentrum und Periferie, die quer durchlaufen, kein Vorteil. Zu einem strukturellem Zusammenschluß der Altbezirke zu einer neuen gefühlten Einheit Großbezirk kommt es schon deshalb nicht, weil dafür sowohl die politischen Energien wie die intellektuellen Kompetenzen fehlen, ja oft sogar die Übersicht über das Gebiet.

Während also auf der stadtstrukturellen Ebene die ungeheuren integrativen Aufgaben liegen bleiben, geht auf der politischen Ebene die Aufrüstung der Bezirke weiter: Ab 2011 wird es das politische Bezirksamt geben, also die Spiegelung des politischen Spiels der Landesebene auf Bezirksebene.

Damit entfernen sich die Bezirke noch weiter vom Ausgangsmodell, dem ehrenamtlich tätigen Stadtbezirk. Die Beteiligung der Bürger gibt es, von der Öffentlichkeit unbeachtet, nur noch in den letzten Sanierungsgebieten, oder außerhalb der institutionellen Regelungen, als autonome sachbezogene Bürgerinitiative. Noch in den sechziger Jahren gab es dagegen die aus Bezirksverordneten und Bürgerdeputierten zusammengesetzten Deputationen für alle wichtigen Verwaltungsbereiche. Heute gibt es sie, zu wahlweise einsetzbaren Ausschüssen mutiert, nur noch im §9 des Bezirksverwaltungsgesetzes.

3.3 Was muß eine Neuordnung leisten?

Die Zweistufigkeit ist nun aber weder bloß ein Kostenproblem noch auch nur, wie die Berliner IHK das sieht, das zentrale Hindernis für Investoren. Wenn das so wäre, könnte man sich der immer öfter erhobenen Forderung anschließen, die Bezirksverwaltungen einfach abzuschaffen oder wenigstens sie entscheidend zu entmachten. Damit bliebe aber das Kernproblem ungelöst, die kommunalpolitische Unterbelichtung. Ob man das gut findet oder nicht, die kommunalpolitische Kompetenz liegt heute ausschließlich bei den Bezirken, und das heißt: bei den Bezirksstadträten, Bezirksverordneten und Bezirksfachverwaltungen. Jede Lösung, die davon absieht, ist weder politisch durchzusetzen noch auch sachlich zu rechtfertigen.

Ebenso klar ist aber, daß es mit einer Aufwertung der Bezirke zu selbständigen Kommunen nach Londoner Muster auch nicht getan ist. Darunter würden, so wie die Berliner Bezirke nun einmal geprägt sind, die übergreifenden Aufgaben zu sehr leiden. Jede neue Lösung muß beweisen, daß sie das entscheidende Defizit der Zweistufigkeit heilt – daß der Senat zu weit weg und die Bezirke zu nah dran sind, daß der Senat unangemessene Landespolitik betreibt, die Bezirke kleinkarierte Kirchturmpolitik.

Die Aufgabe: Einerseits ist der Gesamtzusammenhang einer strukturell eng verflochtenen Stadt zu gewährleisten, andererseits das Interesse der Gesamtstadt an einzelnen zentralen Orten.

Der Gesamtzusammenhang entgeht den Bezirken ziemlich vollständig. Sie handeln wie selbständige Kommunen: Während die Bezirksgrenzen im Funktionsgefüge der Stadt alles andere als Stadtgrenzen sind, die Stadt vielmehr fugenlos weitergeht, werden die Bezirksplanungen zum Rand hin aber immer dünner, so daß sich an den Grenzen die Abstellkammern zweier oder gar dreier Bezirke begegnen. Die alten Bezirke Mitte und Kreuzberg etwa vermochten über ein Jahrzehnt lang jeden Impuls an der Grenze zu verhindern, weil das die vorhandenen Anwohnermentalitäten beunruhigt hätte.

Die Bezirke sind aber überhaupt mit der Aufgabe überfordert, das Gesamtinteresse der Stadt am einzelnen Ort zu realisieren. Bezirke sind eng bewohnerbezogen. Ihnen kann man von ihren Möglichkeiten her die zentralen Aufgaben nicht zuschieben. Es ist gerade das Konstruktionsmerkmal der Bezirkspolitik, sich zu profilieren, indem man für Bewohnersichten und Bewohnerwünsche eintritt gegen die, vorhandene Besitzstände und Gleichgewichte gefährdenden, übergreifenden Anforderungen von oben. Dagegen ist in Vorortlagen auch nichts einzuwenden. Selbst in innerstädtischen Altbezirken wie Wedding oder Tiergarten, die vor allem soziale Kompetenz erforderten, war das angebracht, auch wenn etwa im Wedding die städtebaulichen Mißgriffe zum Himmel schrieen.

Je zentraler die Lage, desto eher kommt es dagegen zu einem Mißverhältnis zwischen Niveau und Zuständigkeit. Vielleicht nicht in Charlottenburg oder Schöneberg – aber je weiter man östlich geht, desto öfter fehlen, und zwar unabhängig von der politischen Ost-West-Spaltung, die intellektuellen und kulturellen Kompetenzen, die nötige Weltläufigkeit und das über den Tellerrand der Tagespolitik hinaus reichende historische Bewusstsein. Der jetzige Großbezirk Mitte ist schon von der Größe, Unterschiedlichkeit und Problemfülle seines Zuständigkeitsbereichs vollkommen überfordert. Man reagiert nur noch auf Investorenanfragen, für Ausbau und Entwicklung ist keine Luft.

Dies Manko kulminiert peinlich in den lokal nun einmal angebundenen Kultur- und Baufragen – immerhin blicken Deutsche wie Ausländer auf die zentralen Stadtbereiche und häufen sich hier die identitätsbildenden Anlässe. Es ist, von welcher Seite man das immer ansieht, ein Unding, eine bürgernahe Bezirksverwaltung Berliner Typs mit Aufgaben von gesamtstädtischer und von Fall zu Fall nationaler Bedeutung und Ansprüchlichkeit zu befassen. Der Dauerstreit um die beitkliche Vermietungspraxis bei den großen Plätzen – Gendarmenmarkt, Bebelplatz, Pariser Platz – nur ein Indiz unter anderen (inzwischen verlor man im Senat die Geduld und entzog dem Bezirk Mitte die Zuständigkeit).

3.4 Das Territorialproblem

Das Unzureichende der heutigen Struktur zeigt sich daher ganz besonders in den Mißlichkeiten territorialer Zuständigkeit. Das Problem kulminiert im jetzigen Bezirk Mitte. Die Bezirksverwaltung des alten Bezirk Mitte praktizierte eine Mischung aus Lokalpolitik und stellvertretender Fortsetzung der DDR. Der neue Großbezirk Mitte hat dagegen jede Möglichkeit von Identitätspolitik, jede Überschaubarkeit und soziale Einheitlichkeit verloren. In dieser Form ist er nichts Halbes und nichts Ganzes. Als Großbezirk ist er zu heterogen, als Akteur zur Überwindung dieses Mißstands aber zu provinziell und zu klein. Gleichwohl entscheidet er in tausend lokalen Fragen über Stadtlagen, die eine Projektionsfläche für die gesamte Nation darstellen.

Wenn es nur um zwischenbezirkliche Probleme ginge, könnte man sich die Lösung so vorstellen, daß man die heutigen Innenstadtbezirke anders kombiniert. Das Ziel müßte dann sein, daß sich sinnvolle Gebiete mit gemeinsamem Problemgefälle ergeben. Gerade das ist heute auch bei den Innenstadtbezirken nirgendwo der Fall. Die 1920 willkürlich vorgenommene Aufteilung der Luisenstadt auf die damaligen Bezirke Mitte und Kreuzberg hat sich, nachdem Kriegszerstörung und 40 Jahre Grenzregime auf dieser Trennungslinie zu riesigen stadtstrukturellen Brüchen geführt haben, heute zu einem Strukturdefekt der Innenstadt ausgewachsen, mit enormen sozialen Folgeschäden. Der frühere Bezirk Prenzlauer Berg, ein reiner Innenstadtbereich, wurde aus rein rechnerischen Gründen zu den Außenbezirken Pankow und Weißensee geschlagen, mit denen er außer der Nachbarschaft nichts gemein hat, während er mit Mitte eng verzahnt ist. Das sich zum Wohngebiet entwickelnde Schlachthofviertel hängt funktional engstens mit Friedrichshain zusammen, mit Prenzlauer Berg überhaupt nicht, dorthin verschlug es den Bereich nur, weil, als das Gelände in den neunziger Jahren des 19.Jahrhunderts von Lichtenberg gekauft wurde, der südlich anschließende Bereich des heutigen friedrichshain noch außerhab der Stadtgrenze lag und unter dem Ortsnamen Wilhelmsberg zu Lichtenberg gehörte.

Hier überall Korrekturen vorzunehmen, wäre das Minimum einer Strukturreform, unabhängig davon, wie man das Verhältnis von Bezirken und kommunaler Spitze konstruiert. Bei dieser Lösung müßte allerdings in die bestehende Grenzziehung eingegriffen werden, was ein zusätzliches Problem schafft. Zwischen Mitte und Kreuzberg wäre z.B. ein Gebietsaustausch sinnvoll, der die südliche Friedrichstadt zu Mitte brächte, die westliche Luisenstadt zu Kreuzberg. Prenzlauer Berg wäre, bei Beibehaltung des Modells Großbezirk, mit dem Wedding zusammenzubringen.

Der Nachteil einer solchen Lösung wäre, daß eine schlüssigere territoriale Abrundung die Bezirke weiter stärken und den Handlungsspielraum einer kommunalen Spitze noch mehr einengen würde, nicht nur weit über das Verhältnis hinaus, das in den zwanziger Jahren herrschte, sondern auch über das heutige. Damit wäre eine Fortdauer der heutigen Blockade garantiert, was sich niemand wünschen kann, auch die Bezirke nicht.

Wenn man diese Blockadesituation mit ihren horrenden Energieverlusten vermeiden will – und das sollte das oberste Ziel sein –, dann muß man eine Lösung finden, die drei Ebenen gleichermaßen bedient: die erstens eine starke kommunale Spitze erlaubt, die zweitens den unrealistischen Versuch einer Brechung der Bezirksmacht vermeidet, und die drittens die territorialen Sinnwidrigkeiten der heutigen Bezirksaufteilung entschärft.

4 Ein Lösungsvorschlag

Wie kann man diese drei Bedingungen erfüllen? Die Hauptfrage ist, wie man eine starke kommunale Spitze erhält. Also: Wenn man die Bezirke weder abschaffen kann noch will, dann gibt es nur noch eine Möglichkeit: nicht hierarchisch über-, sondern territorial nebenzuordnen. Daraus ergibt sich die Einlösung auch der anderen beiden Bedingungen: Man muß so die Bezirke weder ganz abschaffen noch entmachten, und eine sinnvolle territoriale Ordnung ergibt sich fast von selber, aus der Natur der Sache.

4.1 Zentralbezirk und Perifierieautonomie

Eine starke kommunale Spitze verlangt zweifellos Einstufigkeit. Es gibt aber keinen zwingenden Grund, daß diese sich über das Gesamtterritorium erstrecken müsste. Daraus ergibt sich der Lösungsweg: Man schafft erstens einen umfassenden zentralen Stadtbezirk, in welchem der Senat zugleich Bezirksamt ist, und man gibt zweitens den Periferiebezirken eine echte Autonomie.

Der zentrale Stadtbezirk ist unabdingbar, wenn die Stadtspitze – OB, Stadträte, Stadtverordneten – reale Macht haben sollen. Der Oberbürgermeister ist in diesem Bereich zugleich Bürgermeister. Die Verknüpfung von Gesamtkompetenz und lokaler Zuständigkeit ist ein aus der alten preußischen Verwaltung bewährtes Prinzip. Der Vorteil besteht allein schon darin, daß eine solche Diagonalzuständigkeit die Aufsichtsebene vor dem Abheben bewahrt, indem sie im Rahmen ihrer direkten territorialen Anbindung gezwungen ist, sich immer auch realen Bedingungen zu stellen.

Je nachdem, wie groß man den zentralen Bezirk wählt, bestimmt sich die Funktion der übrigen Bezirke – je größer der Zentralbezirk ausfällt, desto mehr werden die verbleibenden Bezirke Vertreter der historischen Vororte, der Gebiete der Industriewanderung um 1900, der Siedlungen der zwanziger Jahre und der Großtafelsiedlungen der Nachkriegszeit.

Selbstverständlich ergäbe sich ein weiterer Machtzuwachs der verbleibenden Bezirke. Dieser sollte durch zusätzliche Pflichten ausgeglichen werden, vor allem durch die Verpflichtung auf fiskalische Autonomie: Jeder Bezirk wäre dadurch zu stadtwirtschaftlichem Verhalten angehalten statt bloß zur Pflege lokaler Klientelen.

Formal würde man damit, bei allen Unterschieden der Größe und Potenz, eher auf ein Modell wie das der Stadt Paris und der umgebenden Departements zusteuern, dürfte dieses Modell aber nicht so weit treiben wie im Fall Paris. Die Innenstadt sollte eine Verantwortlichkeit für die Probleme der Periferie behalten und die Bezirke nicht alleine lassen. Das wäre aber von vornherein dadurch garantiert, daß die Stadtspitze ja weiter eine gesamtstädtische Zuständigkeit wahrnähme.

4.2 Untergliederung des Zentralbezirks

Ein Problem ist die Größe eines solchen Zentralbezirks. Das ist aber auch kein Nachteil, ganz im Gegenteil. Auf diese Weise ist man gezwungen, über die angebliche Bürgernähe der heutigen Bezirke hinauszugehen und endlich einmal wieder wirklich etwas für bürgernahe lokale Politik zu tun.

An dieser Stelle sei daran erinnert, daß der Aufstieg Berlins zur Großstadt verknüpft war mit einem System kleinsteiliger lokaler Selbstverwaltung.

Eines aber ist zwingend: durch zusätzliche Einrichtungen – lokale Kleingliederung welcher Art, Kompetenz und Maßstäblichkeit auch immer – zu sichern, daß die Bewohner einer neuen Großform Innenstadt in ihren sozialen Rechten und politischen Möglichkeiten nicht schlechter gestellt sind als die der periferen Bezirke.

4.3 Was hieße "Zentraler Stadtbezirk" auf der Stadtkarte?

Variante 1

Der zentrale Stadtbezirk umfaßt das Berlin von 1860: die ehemaligen Bezirke Mitte, Kreuzberg, Friedrichshain, Prenzlauer Berg, Wedding und Tiergarten: das Berlin zwischen Zoo und Ostkreuz, Bornholmer Brücke und Platz der Luftbrücke. Dieser Zuschnitt ließe dichteste Ortsteile draußen: Charlottenburg, Wilmersdorf, Schöneberg, Neukölln, Treptow, Lichtenberg, käme dafür aber ohne Zerlegung vorhandener Bezirke aus.

Variante 2

Der zentrale Stadtbezirk umfaßt die gesamte Innenstadt innerhalb des S-Bahn-Ringes, im Norden erweitert bis zur See-, Osloer usw. Straße, im Süden bis zum Teltow-Kanal, im Osten um den Altbezirk Lichtenberg ergänzt. Dieser Zuschnitt hätte den erheblichen Vorteil, daß es eine klare Kompetenzverteilung zwischen Innen- und Außenbezirken gibt, daß also beispielsweise der Bezirk Neukölln nicht gleichzeitig die Migrationsprobleme von Neukölln Nord und die recht anders gelagerten Probleme in Rudow oder in der Gropiusstadt bewältigen müßte. Dies die Vorzugsvariante.

Beide Lösungen haben Vor- und Nachteile. Vielleicht lassen sie sich auch noch erheblich verbessern, oder es gibt noch andere, ähnlich schlüssige – darauf kommt es nicht an. Über alles Detail einer jeweiligen Zuordnung hinaus geht es um den Grundsatz, den bestehenden Kompetenzkonflikt nicht einseitig zentralistisch oder dezentrierend zu lösen, sondern zu einer vernünftigen Verteilung der Verantwortlichkeiten zu kommen. Nicht Entmachtung der Bezirke, sondern teils Verschmelzung, teils größere Selbständigkeit.

4.4 Entwicklung der Periferie

Wenn es das Neue an dieser Lösung ist, daß sie die Scheidungslinie zwischen Stadt und Bezirken nicht nur hierarchisch denkt, als Übereinander zweier Ebenen, sondern auch stadträumlich, als Nebeneinander von Territorien, dann hängt das Gelingen weitestgehend davon ab, daß es tatsächlich entsprechende Aufgaben- und damit auch Interessenunterschiede zwischen den Bezirken gibt, die eine Spaltung der Bezirksfront nicht nur möglich, sondern auch sinnvoll und notwendig machen. Denn die wirkliche politische Herausforderung an die Kompetenz der Hauptverwaltung sind ja die Periferiebezirke.

Der Landesstatus ist heute noch die starke Klammer, welche das lockere Konglomerat Großberlin zusammen hält. Gibt man diesen Status auf, dann ist keineswegs die einfache Rückkehr zu den Zuständen von 1920 möglich – Gewicht der Großbezirke, Ausdehnung der Siedlungsfläche, neue Zentren und regionale Entwicklungen von Siedlung, Verkehr und Logistik haben stark veränderte Verhältnisse geschaffen.

Öffnet man jetzt also die Klammer Land Berlin, dann stellt sich – genau so, wie das auch in Hamburg und Bremen der Fall wäre – erneut das Problem der alten periferen Stadt- und Ortsteilidentitäten, die 1920 nicht nur zum Stadtgebiet geschlagen, sondern der Bezirksgliederung unterworfen wurden.

Vor allem die beiden mittelalterlichen Städte, Spandau und Köpenick, sind strukturell nach wie vor weitgehend autonom. Spandau hat bis heute die 1920 übernommene Zugehörigkeit zu Groß-Berlin nicht verinnerlicht. Bei Köpenick liegen die Dinge auch nicht viel anders.

Das setzt allerdings vernünftige territoriale Änderungen voraus. Spandau ist bis heute nicht in Berlin angekommen. Es wäre daher ernsthaft zu überlegen, ob es nicht beiden Teilen, Berlin wie Spandau, gut täte, wenn Spandau zum Landkreis Havelland übertreten würde – einschließlich seiner Vororte Haselhorst und Stresow, während die Westgrenze des Ortsteils Siemensstadt die geeignete Grenze Berlins nach Spandau wäre.

Gleiches ist für die alte Stadt Köpenick vorstellbar – entlastet von Oberschöneweide, und von Treptow wieder getrennt. Beide Städte, Spandau wie Köpenick, sind nicht nur selbständige mittelalterliche Gründungen, sondern zeichnen sich auch heute noch vor allen anderen Bezirksmittelpunkten dadurch aus, daß sie das volle Stadtprogramm schon in sich selber darstellen: mittelalterlicher Kern, Vorstädte, Stadterweiterungen des 19.Jahrhunderts. Beide haben schon immer im System der Bezirke einen Sonderstatus, der im Fall Köpenick erst neuerdings durch Vereinigung mit Treptow verunklärt wurde.

Die Berliner Periferie ist aber überhaupt so vielgestaltig, daß vielerorts noch einmal dezentral zwischen Zentren und Streubereichen zu unterscheiden ist. Wannsee z.B. tendierte vor 1945 eher nach Potsdam und geht heute stellenweise wieder unmittelbar in Babelsberg über; Zehlendorf, in den fünfziger Jahren von Wannsee her gesehen Stadt, bezieht sich auf Steglitz als unbestrittenes Zentrum, nicht anders als das sich neu konsolidierende Lichterfelde Ost. Buch hat mehr mit Zepernick und Röntgental zu tun als mit dem Komplex Pankow/Niederschönhausen/Nordend. An anderen Punkten sollten die Grenzen von 1920 aber aufrecht erhalten werden, so im Norden: Dorfmarken wie Lübars oder Blankenburg wären sonst längst, bei Zugehörigkeit zu Brandenburg, mit Eigenheimteppichen überschwemmt.

4.5 Bezirkseinteilungen

Die Einteilungen ergeben sich, den Innenstadtbezirk vorausgesetzt, weitgehend von selber. Im Südwesten – Bezirk Steglitz – bleibt alles bei alten. Entsprechend liegt es nahe, einen Südost-Bezirk zu bilden, der, von Marienfelde bis Grünau, den Süden der Altbezirke Tempelhof, Neukölln und Treptow umfaßt.

Den Norden teilen sich Reinickendorf und ein Bezirk aus Pankow (alt), Weißensee und Hohenschönhausen. Im Osten bleibt es beim heutigen Bezirk Marzahn-Hellersdorf.

Damit verbleiben nur noch die Sonderfälle Köpenick und Spandau. Sie verbleiben entweder als Bezirke, praktischerweise um die jeweiligen Industriestädte Siemensstadt und Oberschöneweide verkürzt, oder sie verselbständigen sich durch Beitritt zu den benachbarten Landkreisen.

4.6 Zusammenhang Groß-Berlin

Löst sich die Klammer Bundesland auf, dann entfällt auch das heutige Abgeordnetenhaus. Muß es dann eine neue, ausschließlich für die übergreifenden Fragen zuständige parlamentarische Vertretung der Gesamtstadtinteressen geben? Und wie eng sollen die Periferiebezirke überhaupt an das Zentrum gebunden werden? Sie haben dann doch nicht nur ein hohes Maß an Selbständigkeit einschließlich der Pflicht, sich selber zu finanzieren, sondern auch, wie bisher, ihre eigene parlamentarische Instanz.

Grundsätzlich darf man in Verlängerung heutiger Erfahrungen davon ausgehen, daß das Interesse der Randbezirke an übergeordneten Fragen, so weit sie nicht unmittelbar den eigenen Bezirk betreffen, relativ gering sein und bleiben wird. Es wäre also keine große Demütigung des ortsdemokratischen Bewußtseins, wenn man eine eigene Vertretungseinrichtung auf der Ebene Groß-Berlin einfach einsparte.

Die Gemeinaufgaben – fiskalische und stadtwirtschaftliche Entscheidungen, welche die Gesamtgemeinde binden, Planungskoordination, Interessenvertretung nach außen – wären dann Sache des Zentralbezirks, der, als Exekutive wie Verordnetenversammlung, insoweit auch für die Randbezirke zuständig wäre. Gleichzeitig gibt es heute schon als ein nicht unwichtiges Kontrollorgan den monatlich tagenden Rat der Bürgermeister. Dieser könnte, bei geeigneter Stimmverteilung zwischen Zentralbezirk und Periferiebezirken, in Zukunft das wichtigste für den Zusammenhang Groß-Berlin stehende Gremium sein.

5 Folgerungen für die engere Verwaltungsreform

Die Qualität kommunaler Verwaltung ist nach zwei Seiten entscheidend, einerseits hinsichtlich ihrer Effektivität und Sparsamkeit als Instrument der Stadtpolitik, nach der anderen Seite hinsichtlich des Maßes, in welchem sie das zivile Leben freistellt, oder umgekehrt belastet und lähmt.

In den letzten 15 Jahren ist im Zuge des allgemeinen bundesdeutschen Trends zur Verwaltungsreform auch in Berlin einiges gelaufen. Aber dabei handelte es sich um ein Mitlaufen im bundesdeutschen Trend, und das Ergebnis der Reformen ist ohnehin landauf landab nicht gerade ermutigend. Die Verwaltungsreform hat sich auch in ihrer Berliner Fassung bei Einführung von Elementen des neuen betriebswirtschaftlichen Kanons vor allem selber boykottiert, Umstellungen, vor allem im Rechnungswesen und in der Elektronisierung, wurden hier wie anderswo , wenn nicht zu eigenen Schwerpunkten, die einen großen Teil der eigentlich nach außen zu richtenden Verwaltungstätigkeit in Beschlag legen, dann zu einer zusätzlichen Hürde.

Die versprochene Reform der Köpfe wenigstens wurde so ganz offensichtlich nicht erreicht, und daß damit das Verwaltungshandeln kostengünstiger geworden wäre, wird schwerlich nachzuweisen sein und wird auch nicht behauptet. Wenn man diese Reformen nicht einfach als eine Selbstthematisierung der Verwaltung abtun will, von der die Öffentlichkeit wenig mitbekam, dann muß man sich jedenfalls eingestehen, daß sie die finanzielle Lage Berlins ebenso wenig wie die der anderen deutschen Gemeinden nennenswert verbessert haben.

Die spezifisch Berliner Verwaltungsreform des Jahres 2000 hat andererseits, über die Halbierung der Bezirkszahl und den Rückzug der Zentralverwaltung, zwar erhebliche Machtverschiebungen gebracht, aber weder reformierend gewirkt noch überhaupt eine strukturelle Verbesserung erbracht.

Dabei ist der Zugang über einen institutionellen Umbau an sich weit erfolgsversprechender als die Managerialisierung des Vokabulars und die Monetarisierung der inneradministrativen Verkehrsformen, wie sie in den neunziger Jahren unter den Sigeln New Public Management und Neues Kommunales Steuerungssystem gelaufen ist. Es muß sich eben bloß um einen echten Umbau der Strukturen handeln, wenn sich auf diesem Wege ein Mehr an Effizienz und ein Weniger an Kosten ergeben soll.

5.1. Verwaltungseffekte der Rekommunalisierung

Die Berliner Verwaltung mag im Durchschnitt nicht viel schlechter sein als andere städtische oder Stadtstaatsverwaltungen. Das ändert nichts daran, daß sie, erstens, im Vergleich Verwaltungsstelle pro tausend Einwohner nach wie vor zu groß ist, also zu teuer; daß sie, zweitens, weiter aufgrund der Zweistufigkeit ein besonders hohes Maß an Doppelarbeit und Selbstblockierung hervorbringt; daß sie, drittens, von Bürgerseite aus gesehen, bei aller Kundenrhetorik nutzerfeindlich ist: zu viel kontrolliert, zu viel verhindert, dadurch auf Nutzerseite zu hohe Kosten erzeugt; daß, viertens, eine Integration der höchst unterschiedlichen Verwaltungsmentalitäten von West- und Ost-Berlin bis heute, selbst innerhalb ostwestgemischter Großbezirke, nicht erfolgt ist.

Daß sich daran durch veränderte Vorgaben wenig ändern läßt, hat die Vergangenheit gezeigt. Hier ist wesentliches gröberes Geschütz vonnöten. Es braucht einen Schock, der so tief greift, wie es zuletzt in der langen Berliner Verwaltungsgeschichte nur das Groß-Berlin-Gesetz von 1920 zustande gebracht hat. Die Rückkehr zum Status einer Stadtgemeinde wäre genau derjenige institutionelle Bruch, der geeignet ist, alle Beteiligten zu einem strukturwirksamen Neuanfang zu zwingen.

Denn was wären die Folgen? Erstens käme es zu einer Abtretung jener Verwaltungseinheiten, die ihrer Funktion und Kompetenz nach in die übergeordnete Ebene gehören, an das Land Brandenburg. Unter dem Gesichtspunkt, daß es sich bei der neuen Zentralverwaltung nicht mehr um Landesverwaltung handelt, stellt sich also auch das Mengenproblem in einem neuen Licht. Berlin würde tatsächlich mit Bielefeld, Frankfurt, Köln, München vergleichbar.

5.2 Umgruppierung

Zweitens hätte die neue kommunale Zentralverwaltung sich neu zu gruppieren: Im Zentralbezirk müßten in allen Fragen der lokalen Zuständigkeit bisherige Zentral- und Bezirksverwaltungen zusammengefasst werden. Die Zentralverwaltung hätte zwar auch die Fachaufsicht für die Periferiebezirke, würde sich aber im übrigen auf die Bearbeitung gesamtstädtischer Belange beschränken, in erster Linie die großmaßstäbliche Strukturplanung. Eine weitere Herausforderung wäre es, die dann nötigen lokalen Einheiten zu konstituieren und mit Verwaltungskompetenzen auszustatten, wobei sinnvollerweise von vornherein von einem anderen Typus von Verwaltung auszugehen wäre, keine Berufs- und Vollzeitverwaltung, sondern eine zwischen dieser und reiner Ehrenamtlichkeit angesiedelte Spielart, die sich aus dem lokalen Personenreservoir bedient.

Drittens wären die Perifieriebezirke aufzurüsten, also im Ergebnis ein qualitatives Mehr an Verwaltung: Sie bekämen einen erweiterten Spielraum eingeräumt, insofern sie ökonomisch weitgehend autonom würden, also einen eigenen Haushalt aufstellen und dessen Ausgabenstruktur über die lokalen Politikorgane rechtfertigen müßten.

5.3 Die kommunalen Kernaufgaben

Als Stadtgemeinde hätte Berlin einen engeren Aufgaben- und Handlungsbereich als das jetzige Land. Die Stadt Berlin wird keine Banken besitzen, um eine nur landespolitisch sinnvolle Förderkulisse aufrechterhalten. Auch der weitere Investitionsbereich Ausbildung und Wissenschaft fällt weg – die Stadt Berlin wird weder Universitäten finanzieren noch die Personalkosten des Schulsystems. Das alles werden dann Sorgen der Potsdamer Landesregierung sein.

Um so mehr würden damit die unbestreitbar kommunalen Handlungspflichten in den Blick rücken. Unbestreitbar ist, daß Berlin ein gutes Stadtmarketing betreiben muß. Aber die entsprechenden Agenturen, aus Wirtschaft und Politik besetzt, gibt es ja. Das ist nicht besonders teuer und durchaus erfolgreich. Gleiches gilt – die Kompetenzen und Interessen überschneiden sich teilweise – für die Tourismusförderung und die Messewerbung.

Der Kern der Kommunalkompetenz liegt woanders. Als Kommunalbetrieb ist die Stadt in erster Linie ein öffentlicher Unternehmer in Sachen Flächenverwaltung und Infrastrukturqualität. Beides hat eine technische und eine soziale Seite, entsprechend dem Doppelcharakter von Stadt als Strukturangebot und als sozialer Körper. Zum ersten Bereich gehören u.a. Verkehrspolitik und Flächensicherung für Gewerbe und Industrie, als kommunaler Anteil an Wirtschaftsförderung wie allgemeiner Funktionsfähigkeit der Stadt, aber überhaupt die Sicherung und wechselseitige Abwägung und Dimensionierung aller – gerade auch der sozialen – Flächenbedarfe und Ansprüche. Das zweite ist wesentlich weniger klar zu bestimmen: die unter staatlicher Zuständigkeit verbleibende kommunale Verantwortung für sozialen Zusammenhalt, eine Verantwortung, die, als kommunale, nicht mehr oder minder anonymisiert über Sozialamt und Jobcenter läuft, sondern ortsspezifisch, als Lokalpolitik, aufzusuchen ist.

5.4 Die Verwaltung des Zentralbezirks

Es handelt sich per definitionem um eine einstufige Verwaltung. Damit besteht die Chance, die wichtigsten und meistbeklagten Mängel des heutigen Zustands zu beseitigen: Doppeltzuständigkeiten, unklare Trennung zwischen verordnender und operativer Funktion, zwischen kommunalen und Landesaufgaben und –zuständigkeiten, quantitative Überbesetzung und qualitative Problemferne der Hauptverwaltung sowie, entsprechend, Unterausstattung, Überforderung und lokalen Klientelismus der innerstädtischen Bezirksverwaltungen.

Die Doppelfunktion der Zentralbezirksverwaltung ist dabei von großer Wichtigkeit: Einerseits wäre dieser Verwaltungskörper zu lokaler Kompetenz und Verantwortlichkeit gezwungen, andererseits müßte er weiter gesamtstädtische Planung und politische Verantwortlichkeit gewährleisten und wäre dadurch vor der Gefahr bewahrt, in Bezirksignoranz zu versinken.

Eine solche Neuorganisation würde allerdings das heutige Problem einer erheblichen quantitativen Überbesetzung noch nicht ausreichend lösen. Sie wäre aber die Voraussetzung dazu. Denn auf seine Herkunft hin betrachtet, ist der Personalüberhang der Berliner Verwaltung nicht einfach nur eine Anwendung des Parkinson'schen Gesetzes naturwüchsiger Verwaltungsvermehrung, sondern er hat auch besondere historische Ursachen: Zu Zeiten des Kalten Krieges war der Öffentliche Dienst in Westberlin eines der beide Mittel, für Beschäftigung zu sorgen. In Ostberlin andererseits war es üblich, daß sich bis zu fünf Personen die Arbeitsleistung einer einzigen teilten. Diese atypische Personalvermehrung hatte weiterhin einen Einfluß nicht nur auf Arbeitsmoral und Anspruchsdenken, sondern auch auf Eignung und Weiterqualifizierung der Beschäftigten.

Die quantitative Abschmelzung ist zugleich ein Schlüssel zur Qualitätsverbesserung. Es gibt keinerlei positives Verhältnis zwischen Verwaltungsgröße und erbrachter Leistung, ganz im Gegenteil. Dies zeigt schon der simple Vergleich des Verhältnisses von Sachbearbeiterzahl und bearbeiteten Fällen bei unterschiedlichen Stadtverwaltungen, wie ihn Finanzsenator Sarrazin vor einiger Zeit hat anstellen lassen. Den Berliner Überhang damit zu erklären, Berlin sei anders, überzeugt nicht.

Im Mengenproblem verstecken sich darüber hinaus Strukturprobleme. Zum Beispiel waren zwei der größten Berliner Senatsverwaltungen, Bildung und Stadtentwicklung, in den letzten Jahren auch die, die durch die größten Fehlleistungen auffielen – die Schulverwaltung mit jenen Schulanfängen, wo das errechnete Schüler-Lehrerverhältnis plötzlich mit der Wirklichkeit zusammenstieß, die Bauverwaltung mit den Abstürzen bei Topografie des Terrors, Tempodrom und Akademie der Künste. Die Größe einer Verwaltung ergibt sich ja nicht in Proportion zur Einwohnerzahl, sondern verwaltungsimmanent, durch immer weitere Ausdifferenzierung der Aufgabengebiete und damit Miniaturisierung der Zuständigkeit der Bearbeiter und des Wirklichkeitsausschnittes, für den sie zuständig sind. Ausdifferenzierung führt, kurz gesagt, zu immer verantwortungsärmerer Kompetenz für immer kleinere Handlungsbereiche, folglich zu immer mehr Analyse und immer weniger Handlungsmacht.

Weiter: Ob Haupt- oder Bezirksverwaltung, der Singular täuscht. Entlang ihrer Zuständigkeit bilden sich unweigerlich Eigenwelten aus, die untereinander um Personal, Macht, Geld, Zuständigkeit konkurrieren. Gleiches wiederholt sich noch einmal innerhalb jeder Verwaltung auf Abteilungsebene. Ein Beispiel aus der Senatsverwaltung für Stadtverwaltung: Berlin baut so gut wie gar nicht mehr, die entsprechende Abteilung IV, einst das Zentrum, könnte also, da arbeitslos, aufgelöst werden. Stattdessen hat sie nach wie vor einen Staatssekretär und benutzt ihr ganzes historisches Gewicht und ihre Personalmenge, um auf Kosten anderer Abteilungen Aufgaben, Kompetenzen und Finanzierungen an sich zu ziehen, zu Lasten des Ergebnisses.

Da die Wirklichkeit nicht nach dem Muster der Verwaltung aufgebaut ist, überschneiden sich die Kompetenzen der verschiedenen Verwaltungen, und ist ihrer entsprechenden Ausdifferenzierung kaum eine Grenze gesetzt – jede Verwaltung tendiert dazu, unter ihrem jeweiligen engen fachlichen Gesichtspunkt zu einem Bild der Wirklichkeit, bzw. einer verwalteten Gesellschaft, zu werden. Je größer die jeweils im Einzelfall beteiligten Verwaltungen, desto schwieriger und zeitraubender also auch die Koordination. Um so häufiger arbeiten Verwaltungsteile auch aneinander vorbei, und dies so mehr, als ja auch die Verwaltungsziele oft genug konträr sind – z.B. beplant ein Verwaltungsteil ein Gelände als Grünanlage, ein anderer verkauft es gleichzeitig an einen Investor, während ein dritter ein darauf stehendes Gebäude gerade als Jugendzentrum ausbaut. Koordinationsprobleme spielen in Berlin nicht nur auf den beiden Ebenen Hauptverwaltung und Bezirksverwaltungen ihre Rolle, sondern, falls Sonderfinanzierungen des Bundes im Spiele sind, kann eine einzige Baumaßnahme in Berlin-Mitte mehrere Verwaltungseinheiten auf drei verschiedenen Verwaltungsebenen beschäftigen, wobei jeder Beteiligte seine Zuständigkeit verteidigt und seine Maßstäbe durchzusetzen versucht.

Es ist nun gerade dieser Sachstand, welcher dem oben vorgeschlagenen Modell einer Verknüpfung von lokaler und Gesamtzuständigkeit in einer zentralbezirklichen Hauptverwaltung zu Grunde liegt. Mit der Zusammenführung im Zentralbezirk und der weitgehenden Autonomie der Periferiebezirke würden mit einem Schlag die rituellen Verweise auf die jeweils andere Ebene hinfällig, die, wo immer etwas nicht läuft, bislang die Ausflucht der Verantwortlichen bilden. Was aber unbedingt hinzukommen muß, ist die tatsächliche Reduzierung des verwaltenden Personals. Gemessen an der heutigen Hauptverwaltung, sollten mindestens zwei Drittel des heutigen Bestandes eingespart werden. Die grundsätzliche Neuordnung der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten kann allererst unter dieser Bedingung wirklich ihren Segen entfalten.

5.5 Rückgriff auf selbstverwaltende Kleinbezirke

Die Einführung 1920 des Bezirksföderalismus ins Stadtregiment reagierte nicht nur auf die Empfindlichkeiten der eingemeindeten Großstädte und großen Amtsgemeinden (Britz, Steglitz, Wittenau usw.), vielmehr, sie hatte auch den Verlust an Selbstverwaltung zu kompensieren, den die neue Bezirksordnung für das alte Berlin innerhalb der Weichbildgrenzen von 1860 bedeute. Die neue Verwaltungseinheit Bezirk des Groß-Berlin-Gesetzes ersetzte nämlich eine gleichnamige ältere.

Letztere, der Stadtbezirk der Städteordnung von 1808, hatte ideal dem Bild einer bürgernahen Verwaltung entsprochen. Dieses Stadtgebiet war um 1900 in rd. 120 Stadtbezirke untergliedert, deren jeder höchsten um viertausend Einwohner umfaßte. Jeder Bezirk wählte seinen Stadtverordneten, und die kleine Gruppe von Honoratioren, aus der sich Stadtverordnete, Bezirksvorsteher, Vorsitzende und Mitglieder von Armen- und Schulkommission rekrutierten, war lokal bekannt.

Das Ende des alten Stadtbezirks war nicht nur das Ende einer kleinsten überschaubaren Einheit, sondern auch der klassischen bürgerlichen Selbstverwaltung. Erstens handelte es sich, angesichts des vergrößerten Maßstabs und auf dem Hintergrund der fiskalischen Probleme der Nachkriegszeit, von da an um voll bezahlte Berufsverwaltung. Zweitens hatte die Inflation die Schicht enteignet, welche die längste Zeit Träger des Systems gewesen war. Insofern verbietet sich jede direkte Anknüpfung: Das Problem einer kleinsten lokalen Einheit muß auf der Ebene heutiger Bedingungen noch einmal ganz neu durchbuchstabiert werden.

Dazu ist aus heutiger Sicht ohnehin Anlaß gegeben: Das System politischer Repräsentation verliert rasant an Glaubwürdigkeit. Mangelnde Wahlbeteiligung, Zunahme von Volksabstimmungen, Bürgerhaushalte sind Anzeichen einer Funktionskrise. Auf Staatsebene ist gegenwärtig nicht zu erwarten. Zumindest die Städte hätten aber die Möglichkeit, neue Verfahren auszuprobieren. Für die Kommunalpolitik, eingezwängt wie sie ist in staatliche Beauftragung und Bürgerunwillen, eine Überlebensfrage.

Die Perspektive eines innenstadtkonformen Großbezirks ist andererseits ohne Kleingliederung in lokale Verwaltungseinheiten ohnehin nicht sinnvoll. Das System der Ortsteile funktioniert in der Innenstadt aber nicht. Es wäre also sinnvoll, von vornherein auf eine bloße Untergliederung zentraler Verwaltung zu verzichten und einen Modellwechsel vorzunehmen, also die Kleingliederung von vornherein unter dem Gesichtspunkt kleinster selbstverwalteter lokaler Einheiten zu denken. Das setzt natürlich auf Verwaltungs- wie auf Bürgerseite ein erhebliches Umdenken voraus: Die eine Seite muß Macht und Entscheidungskompetenzen abgeben, die andere muß Verantwortung übernehmen und auf das bequeme Einklagen von Leistungen weitgehend verzichten. Das ist auch der Sinn der Sache.

Man fragt sich heute immer wieder, ob diese Stadt überhaupt noch einen ehrgeiz und ein Wissen um sich selbst hat. Die Frage ist ungerecht. Berlin muß erst einmal in den Stadt gesetzt werden, sich wieder als Stadt zu erfahren. Erst dann kann auch der Ehrgeiz entstehen, in den politischen Formen, die man sich gibt, nicht auf einer Höhe mit Dortmund oder Ulm zu sein, sondern wieder voranzugehen und Paradigma zu werden. Die Neuerfindung lokaler Selbstverwaltung wäre der eigene Schritt dahin.


© 2009 Dieter Hoffmann-Axthelm

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